Esthers grosser Erfolg in Kanada - Von Landschaftsgärtnerin zur Vorarbeiterin
Warum ich nach Kanada ging?
Ich würde sagen, es gibt hier nicht «DER EINE GRUND» warum ich nach Kanada ging. Es sind im vergangenen Jahr mehrere Faktoren und Motivationen zusammengekommen. Es ist seit Langem ein Traum von mir, für ein Weile in einem anderen Land zu arbeiten und die Weiten von Kanada haben mich schon immer fasziniert. Zudem hat mir die freundliche, offene Art der Kanadischen Bevölkerung sehr zugesagt, als ich in Kanada auf Reisen war.
Im Sommer 2023, ca. ein Jahr nach dem ich die Meisterschule (Garten- und Landschaftsbau) abgeschlossen hatte, kam in mir wieder der Wunsch hoch, die weite Welt zu sehen. Ausserdem wollte ich meine Englischkenntnisse verbessern. So habe ich bei Study Work Travel angefragt, ob sie mir eine Stelle im Gartenbau in einem englischsprachigen Land vermitteln könnten. Dies führte dann dazu, dass ich bei einem renommierten Unternehmen in Vancouver landete. Mit exzellenter Unterstützung von Study Work Travel habe ich dann eine kanadische Arbeitsbewilligung für ein Jahr erhalten und ich plante für neun Monate nach Vancouver zu gehen.
Meine Arbeit als Landschaftsgärtnerin
Anfang März 2024 habe ich meine Stelle in North Vancouver angetreten. Mein neuer Arbeitgeber ist eine Gartenbauunternehmung mit ca. 100 Mitarbeitenden. Die Mitarbeitenden sind Leute aus vielen verschiedenen Ländern wie Mexiko, Irland, Tschechien, Mongolei, Philippinen, Kanada und vielen mehr. Oder wie es unser HR-Manager ausdrückte «Wir sind Leute aus der ganzen Welt, die viel Spass daran haben, an dem was sie tun.»
Anfangs war ich meistens als Landschaftsgärtnerin in einem Team mit einem Vorarbeiter eingesetzt. Dies vorwiegend auf Umänderungen, manchmal aber auch auf Neuanlagen von Hochhäusern. Die Aussicht, die wir hierbei über den Dächern von Vancouver geniessen konnten, ist oft atemberaubend. Mein erster Arbeitstag, oder vielmehr «Arbeitsnacht» sah allerdings anders aus. Ich wurde für eine Schneeräumungs-Nachtschicht auf dem Flughafen von Vancouver aufgeboten. Wenn es schneit, gehört das ebenfalls zu unserem Tätigkeitsgebiet. In dieser Nacht kam jedoch kein Schnee und wir haben fast die ganze Nacht auf Schnee gewartet. Ausser, dass wir zweimal in der Nacht einen Rundgang machten, um Salz zu streuen, hatten wir nämlich keine Arbeit.
Beförderung zur Vorarbeiterin
Relativ rasch bemerkte dann mein Arbeitgeber, dass ich Erfahrungen als Vorarbeiterin habe und ein grosses Wissen im Gartenbau besitze. So kam es dazu, dass ich bereits nach 1-2 Monaten kleine Projekte als Vorarbeiterin mit einem kleinen Team ausführen durfte und einen Pickup Truck zugeteilt bekommen habe. Ich muss gestehen, ich fühle mich ziemlich cool mit «meinem» Pickup.
Im Juli wurde ich dann offiziell zur Vorarbeiterin befördert. Seither führe ich mit einem Team vorwiegend Umänderungen in Privatgärten in Vancouver aus. Zwischendurch war ich in Whistler eingesetzt. Hier machte ich meisten Unterhaltsarbeiten auf einem ca. 4 ha grossen, wunderschönen Anwesen. Die Eigentümerschaft kommt in der Regel nur fünf Wochen im Sommer auf das Anwesen. Es war für mich eine neue Erfahrung, einen Garten zu pflegen, der den Zweck hat, nur für fünf Wochen im Jahr genau so auszusehen, wie die Eigentümerschaft das wünscht. Den Rest des Jahres interessiert das eigentlich niemanden gross, wie der Garten aussieht. Leider darf ich von diesem Garten keine Bilder zeigen.
Was ist anders als in der Schweiz als Landschaftsgärtnerin zu arbeiten?
Abgesehen davon, dass die Gärten oft grösser sind als die in der Schweiz, ist die Arbeit an sich sehr ähnlich. Die Unterschiede sind mehr in der Organisation und im Hintergrund. Beispielsweise gibt es hier so gut wie keine ausgebildeten Angestellten. Eine Lehre machen, wie wir das kennen, gibt es hier nicht. Zudem sind die Angestellten viel günstiger als in der Schweiz. Daher ist das Equipment, welches wir haben, sehr bescheiden. Es ist halt oft günstiger vier Gartenarbeiter schaufeln zu lassen als einen Bagger zu benutzen. Zu meinem Erstaunen schaufeln die hier auch riesige Mengen ohne zu jammern. Die Motivation der Leute gute Arbeit zu leisten ist bemerkenswert.
Die Qualität der Arbeit kann sich auch sehen lassen, zumindest das, wo man am Schluss sieht. Auf das, was darunter abgeht, wird hier nicht so grossen Wert gelegt, wie ich das in der Schweiz gelernt habe. Hier meine ich Schichtstärken von Kofferungen, Planiegenauigkeiten, Verzahnung von Unter- und Oberboden usw.
Organisatorisch gewöhnungsbedürftig ist für mich die dezentrale Organisation. Wir starten meistens direkt auf den Baustellen. Eine Arbeitsbesprechung am Morgen im Büro und ein Grundstock an Material im Werkhof gibt es hier kaum. Diese Organisation macht aber in meinen Augen durchaus Sinn. Die Stadt und Agglomeration sind sehr weitläufig und es herrscht sehr oft Stau. Und noch etwas Spezielles: Natürlicher Oberboden, wie wir ihn aus der Schweiz kennen, ist hier nicht verfügbar… Ja, woher auch? Entweder ist Stadt, Wald oder Meer. Wir bauen ein Gemisch aus Kompost und Sand ein. Ich muss sagen, dass ich mich bis jetzt noch nicht für dieses Material begeistern konnte. Es entspricht nicht dem, was ich gelernt habe, wie guter Oberboden sein soll.
Was ich ausserhalb der Arbeit so erlebe
Die Region Vancouver ist äusserst vielseitig. Sei es von der Natur her oder von den vielen Kulturen, die in der Region leben. Die Vielseitigkeit der Natur besteht insbesondere darin, dass Meer, Wald und Berge sehr nahe beieinander liegen. Die Natur ist sehr nahe am Siedlungsgebiet, ja im Siedlungsgebiet. Es kann schon mal vorkommen, dass ein Schwarzbär oder ein Hirsch durch den Garten spaziert, wenn wir am Arbeiten sind. Zudem kann man viele verschiedene Vögel beobachten. Das Leben im Meer ist ebenfalls sehr vielfältig. Im Meer kann man verschiedenste Fische, Seesterne, Quallen, Robbern und Orkas sehen. Auf das Glück einen Orka zu Gesicht zu bekommen, warte ich allerdings noch. Für mich, die Outdoor Sport liebt, wandern geht und gerne die Natur beobachtet, ist es der ideale Ort.
Was die kulturelle Vielfalt betrifft, zeigt sich vielleicht am besten in den Sprachen, die ich hier lerne. Ich kann mittlerweile ein paar Worte auf Farsi (Persich), ein paar Worte auf Tschachisch, ein bisschen mehr Worte als zuvor auf Spanisch und Italienisch. Das Persich lerne ich von meiner Gastfamilie, wo ich wohne. Sie kommen aus dem Iran und sprechen Persisch. Die anderen Sprachen lerne ich von meinen Mitarbeitenden. Und natürlich hat sich mein Englisch auch markant verbessert.
Die Vielfalt der Stadt selbst ist für mich ebenfalls beeindruckend oder manchmal ein bisschen schockierend. Die Stadt hat sehr unterschiedliche Viertel wie das Downtown mit den beeindruckenden Hochhäusern, die Villenviertel, wo wir oft arbeiten oder dann auf der anderen Seite das Downtown Eastside mit den vielen drogensüchtigen Obdachlosen. Es ist manchmal brutal, wie einem hier die Schere zwischen Arm und Reich vor Augen geführt wird.
Mit den Ureinwohnern bin ich bis jetzt leider sehr wenig in Kontakt gekommen. Es wird überall Kunst von ihnen zum Verkauf angeboten, manche Museen widmen sich dem Thema und es gibt Bemühungen der weissen Bevölkerung für Wiedergutmachung. Ansonsten sind die Ureinwohner kaum sichtbar. Ich denke sie leben vor allem in ihren Reservaten, wo wir nicht willkommen sind.
Alles in allem ist es eine sehr spannende Region, die mich immer wieder neu fasziniert. Ich muss aber auch gestehen, dass ich heute viel dankbarer bin, in der Schweiz aufgewachsen zu sein als ich es vorher war. Wir haben es schon leichter als viele andere Menschen auf dieser Welt. Ich habe z. B. die Möglichkeit zurück nach Hause zu gehen und ein gutes Leben zu führen, dies können viele Zuwanderer hier nicht sagen.
Wie geht’s weiter für mich?
Ich habe mich entschieden, meinen Aufenthalt hier zu verlängern. Die Gründe hierfür sind, dass ich mich in der Region sehr wohl fühle, ich in meiner Firma interessante berufliche Aussichten habe und ich das positive Arbeitsklima sehr schätze. Irgendwie sind es schon «Leute aus der ganzen Welt, die viel Spass daran haben, an dem was sie tun.» Nun ist mein Arbeitgeber gerade daran für mich ein LMIA (Labour Market Impact Assessment) zu beantragen. Wenn wir erfolgreich sind, werde ich eine Arbeitsbewilligung für drei Jahre erhalten. Die Erfolgsaussichten sollen sehr gut sein. Es ist mehr eine Frage der Zeit und wie viel es kosten wird. Solche Prozesse sind hier sehr langsam und kosten viel. Da meine jetzige Arbeitsbewilligung aber bis ins nächste Jahr gültig ist, sollte ich keine Schwierigkeiten haben.
An manchen Tagen vermisse ich meine Heimat schon - die Familie, die Freunde, meine Feuerwehr, das gute Brot, Walliser Trockenfleisch, die Bauernhöfe und die grünen Wiesen der Schweiz. Die Vorfreude auf das, was mich hier erwartet, überwiegt aber bei Weitem.